Wer liebt, ist abhängig

...aber nicht ausgeliefert. Wie wir dem andern auf Augenhöhe begegnen.



"Bedürfnisse!" sagt Johannes abfällig, "Wenn ich das Wort schon höre. Anke redet dauernd davon, dass ihre Bedürfnisse in unserer Beziehung nicht erfüllt werden."
"Und?" frage ich neugierig, "kriegen Sie dann Lust, ihr eine Freude zu machen?" Er schaut mich verächtlich an: "Natürlich nicht!"
"Dachte ich mir," sage ich, "aber ehrlich gesagt, so richtig zufrieden wirken Sie auf mich auch nicht."
"Darf man denn in einer Beziehung nicht erwarten, dass die eigenen Bedürfnisse befriedigt werden?" fragt Anke.
 
Natürlich tun sich zwei Liebende auch deshalb in einer Beziehung zusammen, um einander etwas zu geben und um etwas zu bekommen. Dennoch ist eine Beziehung keine "Bedürfnisbefriedigungsanstalt". Sondern es gibt Momente, wo die Wünsche nicht zusammen passen, und dann kommt es oft zu Enttäuschung und Streit. 

Liebe ist eben nicht selbstlos. Wer liebt, will etwas. Und er ist deshalb abhängig. Denn er will es ja nicht von irgendwem, sondern von diesem einen Menschen, der sich dafür entscheiden kann – oder dagegen.

"Abhängigkeit", ist für viele Menschen heute ein unanständigeres Wort ist als "Gruppensex". Deshalb versuchen sie, das damit verbundene unangenehme Gefühl der Unterlegenheit zu vermeiden.

"Nie umarmst du mich mal, wenn es mir schlecht geht," wirft Anke Johannes vor. Und drückt damit aus, dass er ihr etwas schuldig bleibt. Wenn sie ihr Recht einfordert, muss sie sich nicht abhängig fühlen.

"Du bist egoistisch und gefühlskalt," legt sie nach, wenn ihr seine Zuwendung besonders schmerzlich fehlt. Damit ist klar, dass mit ihr alles in Ordnung ist, aber mit ihm etwas nicht stimmt.

"Mir geht es schlecht und dir ist es völlig gleichgültig," klagt sie und macht damit deutlich, dass ihr Wohlbefinden eindeutig Johannes Aufgabe ist. Mit ihrem Jammern weist sie ihn auf mangelnde Pflichterfüllung hin. Doch das Beste, das Anke auf diesem Weg jemals bekommen wird, ist eine pflichtschuldig abgerungene Umarmung.

Zu fordern und zu klagen lindert zwar den Schmerz der Abhängigkeit – aber Ihre Bedürfnisse werden so kaum erfüllt werden. Wenn Sie bekommen wollen, was Sie wirklich brauchen, dann müssen Sie bereit sein, Ihre eigene Abhängigkeit zu akzeptieren. Denn Abhängigkeit ist nicht das gleiche wie dem anderen ausgeliefert zu sein! Unterschätzen Sie nicht Ihre Möglichkeiten: Sie können viel dafür tun, dass der andere Ihre Bitte erfüllen mag.

"Ich bin so mutlos und erschöpft," sagt Anke, "bitte nimm mich doch mal in den Arm."
"Muss das sein?" knurrt Johannes.
"Es würde mit gut tun," sagt Anke.

Er ist irritiert aber hämmert weiter in seinen Computer. "Jetzt nicht" sagt er unfreundlich.
"Später?" fragt Anke.

Verblüfft von ihrer Reaktion schaut er sie an: "In einer halben Stunde habe ich den Mist fertig geschrieben. Wir können uns in der Küche treffen."
"Schön," sagt Anke einfach. "Ich setz uns einen Tee auf."

(C)Berit Brockhausen 2010

Mehr dazu in meinem Buch "Warum machst du mich nicht glücklich?" (2010)


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